Den Blinker stellen – Wie man mit 2 Minuten täglich einen Marathon schafft

Sie kennen ihn sicher auch, den Kreisel der Gewohnheiten. Gerade zum Jahreswechsel begleiten uns immer wieder Gedanken, wie «neues Jahr, neues Glück – es ist Zeit für neue Gewohnheiten!». Nur um dann nach einigen Wochen feststellen zu müssen, dass sich eigentlich gar nichts geändert hat, die alten Gewohnheiten haben uns immer noch im Griff.

Auch ich bekenne mich schuldig, diesen schon fast traditionellen Vorgang «Jetzt packe ich es an … seufz, wieder nicht geschafft» regelmässig in meinem Leben anzutreffen. In Coaching Sessions kommen von meinen Kundinnen und Kunden immer wieder ähnliche Seufzer, begleitet von Äusserungen wie «Ich würde ja gerne mehr …, aber ich schaffe das einfach nicht!», oder «Ich sollte dringend weniger …, aber mein hektischer Alltag hindert mich daran!»

Der Verkehrskreisel als Metapher für eine Gewohnheit beschreibt dieses Dilemma sehr treffend. Ich sitze im Auto und fahre im Kreisel Runde um Runde, d.h. ich lebe meine Gewohnheit. Ich sehe die Ausfahrten, aber ich kann mich nicht dazu entschliessen, eine der Ausfahrten zu wählen und damit die vertraute Welt meines Kreisels zu verlassen. Erst wenn ich den Blinker stelle und eine Ausfahrt nehme, verändere ich etwas. Das heisst aber auch, dass ich in unbekannte und vielleicht auch unsichere Gefilde fahre, ich verlasse meine Komfortzone.

Aber wie komme ich dazu, meinen Kreisel der Gewohnheiten zu verlassen? Ich stiess auf unzählige Bücher und Anleitungen auf der Suche nach Ideen und Impulsen zum Thema «Gewohnheiten ändern». Wie der Zufall so spielt, blinkte mir vor einigen Wochen in meinem Bücher Podcast das Buch «die 1% Methode – minimale Veränderung, maximale Wirkung» von James Clear (Goldmann Verlag)entgegen. Nachdem ich es gelesen habe, sehe ich tatsächlich eine Chance, einige meiner Gewohnheiten zu verändern. Überzeugt hat mich vor allem die Authentizität des Autors. Er hat als Jugendlicher und vielversprechender Jungstar bei einem Sport-Unfall schwere Kopf-Verletzungen erlitten, sein Traum von einer Karriere als Baseball-Profi schien für immer geplatzt zu sein. Düstere Gedanken wurden begleitet vom dumpfen Gefühl, das Leben nicht mehr unter Kontrolle zu haben und von Unsicherheit umgeben zu sein. Aber er hat es geschafft, das Buch beschreibt seinen Weg aus dem Kreisel.

Das Buch bietet zahlreiche Anhaltspunkte zur Veränderung von Gewohnheiten, aus meiner Sicht logisch und strukturiert aufgebaut. Bei mir hat es bei derjenigen Stelle im Buch „klick“ gemacht, wo die Veränderung anhand der Kursänderung eines Flugzeuges dargestellt wird.

Transferiere ich diese Erkenntnis in die Realität meiner Gewohnheiten, bedeutet das für mich, in meinem Kopf das Ziel einzugeben mit kleinen Schritten dahin zu gelangen, diese dafür aber konsequent und gewissenhaft durchzuführen. Also liegt der Fokus nicht mehr darin, einen Marathon zu laufen, sondern jeden Tag 2 Minuten um den Block zu gehen, auch wenn es regnet, auch wenn man müde ist. Und wenn der 2-Minuten-Walk so stark ins Blut übergegangen ist, dass man ihn schon fast automatisch absolviert, ist es Zeit, die nächste kleine Stufe zu erreichen, ab jetzt täglich 5 Minuten um den Block. Und irgendwann ist dann die nächste Stufe der Marathon. Natürlich, das dauert seine Zeit, aber mit fortschreitender Dauer führt dieses Vorgehen zu einer neuen Identität, dann heisst es nicht mehr «ich laufe 5 Minuten», sondern «ich bin eine Läuferin».

Der Autor beschreibt 4 Erfolgsfaktoren:

  • Die 2-Minuten-Regel Wenn man eine neue Gewohnheit anfängt, sollte sie nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch nehmen. Fast jede Gewohnheit lässt sich auf eine Zwei-Minuten-Version reduzieren. Die Hürde ist damit sehr niedrig, umso grösser ist die Chance, dass man sich aufrafft, d.h. den Blinker stellt und Gas gibt. Das Gefühl, sich überwunden und die 2 Minuten absolviert zu haben bedeutet auch, einen ersten kleinen Erfolg zu feiern, und das ist wie eine Power-Infusion, die Körper, Geist und Seele durchströmt. Dieser Boost führt zur nächsten Durchführung, die Erfolgsgeschichte geht weiter.
  • Die Konzentration auf den Prozess – das Handeln und Ausführen ist wichtiger, als sich ständig mit dem Ziel zu beschäftigen. Das Üben macht den Meister, nicht das Planen
  • Die Häufigkeit der Ausführung – Ausschlaggebend ist die Häufigkeit einer Gewohnheit, nicht deren Dauer
  • Den Prozess mit neuen Impulsen beleben – Langeweile ist oft die grössere Gefahr für den Erfolg als das Scheitern. Wenn Gewohnheiten zur Routine werden, werden sie langweilig. Also müssen wir immer wieder etwas Neues hineinbringen, um uns wieder zu begeistern und um den «Zauber des Neuanfangs» zu spüren (aus dem Gedicht «Stufen» von Hermann Hesse). Das kann die nächste Stufe im Prozess sein, eine neue Ausrüstung (mit einer coolen Pudelmütze läuft es sich hervorragend im Schneegestöber), eine neue Playlist im Ohr, etc.

Also eigentlich nichts Grosses oder weltbewegend Neues, aber mir hat es geholfen, meinen Kreisel mit der Gewohnheit «ich mag mich nicht aufraffen zum Laufen» zu verlassen und die Ausfahrt zu einer unbekannten Strasse zu nehmen, auf der ich zurzeit täglich unterwegs bin im 5 Minuten-Walk, nachdem ich Ende Januar mit der 2-Minuten-Regel begonnen habe. Ob ich jemals einen Marathon laufen werde, weiss ich noch nicht, aber ich freue mich sehr darüber, dass ich den Blinker gestellt und die Ausfahrt genommen habe.

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